Sie geht in Gnade

SIE GEHT IN GNADE

Von Hannah Avellino

Als ich nach dem Tod meiner Mutter ihre persönlichen Sachen durchschaute, fand ich ein Lesezeichen, das mir seitdem eine Menge bedeutet. Es ist ein Bild darauf, von einer älteren Frau in einem langen fließenden Kleid. Im Hintergrund sind Berge, und hoch am Himmel scheint der Mond. Die Augen der Frau sind geschlossen. Unter dem Bild stehen die Worte: „Sie geht in Gnade.”

Meine Mutter fürchtete den Tod nicht und war dankbar für das Leben, dass sie geführt hatte, denn sie hatte es voll zu Nutze gemacht.
Meine Mutter fürchtete den Tod nicht und war dankbar für das Leben, dass sie geführt hatte, denn sie hatte es voll zu Nutze gemacht.

Ich habe von einigen Berichten gehört oder gelesen, wie Gott Menschen im Moment ihres Dahinscheidens „Gnade des Sterbens” gegeben hat, oder eine ähnliche Form von Gnade für die, die ihre Liebsten verloren haben. Das hat sich für mich beim Sterben meiner Mutter bewahrheitet — dass die Gnade des Herrn mehr als ausreichend und Antwort auf meine Gebete war. Ich habe sogar seine speziellen Berührungen von Liebe gespürt bei einer Erfahrung, die ansonsten für mich sehr schwer gewesen wäre.

Es erinnerte mich an die Antwort, die der Evangelist Dwight L. Moody zwei Frauen gab, die ihn fragten, ob er die Gnade des Sterbens kennen würde. „Nein“, antwortete er, „ich sterbe noch nicht.“ Gott gibt diese spezielle Gnade in dem Moment, in dem sie benötigt wird, nicht vorher.

Meine Mutter und Großmutter waren beide Quäker, und ich wurde demnach als ein Quäker erzogen, der Werte schätzt. Meine Mutter hat solche Werte ihr ganzes Leben lang vorgelebt, und es war hauptsächlich ihr Beispiel von großzügigem Geben für andere, was mich als junge Frau dahingehend beeinflusste, mein Leben in Vollzeit dem christlichen Dienst  zu widmen — eine Entscheidung, die ich nie bereut habe.

Ich hatte eine Reise über den Atlantik gebucht, um bei einer geplanten Gelenkbehandlung meiner Mutter dabei zu sein und während ihrer Genesung zu helfen, doch drei Wochen vor meinem Reisetermin rief meine Schwester an, um mir mitzuteilen, dass meine Mutter ins Krankenhaus musste und wusste, dass sie sich nicht mehr erholen würde. Ich nahm den nächsten Flieger den ich bekommen konnte und war zwölf Stunden später an ihrer Seite.

Meine Schwester, mein Bruder und ich versammelten uns um das Krankenhausbett meiner Mutter und verbrachten die letzten Stunden damit, in Erinnerungen über unser glückliches Familienleben zu schwelgen und ihr zu sagen, wie viel sie uns bedeutet. Obwohl meine Mutter sehr unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln stand, war sie geistig voll bei uns. Es war eine wertvolle Erfahrung für uns drei Geschwister, die unsere Verbindung zueinander sehr gestärkt hat.

Meine Mutter fürchtete den Tod nicht und war dankbar für das Leben, dass sie geführt hatte, denn sie hatte es voll zu Nutze gemacht.

An einem Punkt flüsterte ich ihr zu, wie sehr ich dankbar war, für ihre vorbehaltlose Liebe und moralische Unterstützung, die sie mir immer gegeben hatte, obwohl meine gewählte Berufung bedeutet hatte, dass sie mich oder meine beiden Kinder nicht sehr oft sehen konnte, und nun wuchsen auch ihre drei Urenkel in fremden Ländern im Dienste Jesus auf. Nachdem ich ihr gedankt hatte, fragte ich sie, ob sie mir auch weiterhin von der „anderen Seite“ helfen würde, was sie bejahte.

Nur ein paar Minuten vor ihrem Dahinscheiden öffnete sie ihre Augen und schaute an die Decke am anderen Ende des Zimmers. Ich saß an dieser Seite ihres Bettes und hielt ihre Hand, aber sie schaute an mir vorbei. Ich beugte mich hinüber um in ihr Sichtfeld zu gelangen, aber es war, als ob sie durch mich hindurch schaute. Da merkte ich, dass sie jemanden oder etwas sah, was der Rest von uns nicht wahrnehmen konnte. Ich fragte sie, wen oder was sie sehen würde, aber sie konnte nicht antworten. Stattdessen schloss sie ihre Augen, ein friedlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht, und sie war von uns gegangen.

Natürlich vermisse ich sie, aber ich bin sehr dankbar, dass sie so friedlich und ohne Schmerzen gehen konnte. Der Herr gab mir die Gnade, mich von einem Menschen zu verabschieden, der mir in meinem Leben am nächsten gestanden hat, bis wir irgendwann wieder für immer zusammen sein werden.

Artikel dem monatlichen Heft „Activated“ entnommen

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