Heiligabend auf der Säuglingsstation
Von Sue Monk Kidd – Entnommen aus: „Guideposts“
Es war Heiligabend, und es war völlig ruhig auf der Säuglingsstation des Krankenhauses. Ich war die diensthabende Schwester, saß am Schreibtisch und starrte missmutig auf einen Weihnachtszweig aus Plastik an der Wand. Ich dachte an die noch nicht erledigten letzten Einkäufe, die noch nicht gebackenen Plätzchen und das Weihnachtssingen. Es ist ungerecht, dass ich keinen Heiligabend habe, dachte ich.
Ich stand auf und schleppte mich durch den verlassenen Flur, hielt bei der Säuglings-Intensivstation an und seufzte. Da war auch so ein Weihnachtszweig aus Plastik an der Tür befestigt. Ich drückte sie auf und ging hinein. Nur ein Kind lag auf der Station, ein winziger, wenige Wochen alter Säugling. Er hatte eine Atemwegsinfektion und schien auf dem Weg der Besserung zu sein. Trotzdem hatte er ständig eine Schwester zur Beobachtung bei sich. Ich sah sie an seinem Bettchen stehen, als ich eintrat.
„Frohe Weihnachten!“ sagte sie.
„Auch eine Art, den Heiligabend zu feiern“, murmelte ich. Als ich die Fieberkurve an der Wand überprüfte, vernahm ich ein kaum hörbares, leises Keuchen.
„Mein Gott, er atmet nicht mehr!“ rief die Schwester. Ich lief ans Bett und beugte mich über das Baby. Es war schlaff und wurde dunkelblau um den Mund. Ich fand einen schwachen Herzschlag, doch praktisch keine Atmung mehr.
„Rufen sie einen Arzt und einen Atmungstherapeuten, schnell!“ sagte ich.
Die Sekunden rasten. Ich machte den Rachen des Säuglings durch Absaugen frei, zog sein Kinn zurück und führte ein Beatmungsgerät über Nase und Mund ein und fing an zu drücken. Ein und aus, ein und aus wurde Luft in seine Lunge gedrückt. Mit der anderen Hand hielt ich das Stethoskop auf seiner Brust und hörte den Herzschlag, schwach wie das Ticken einer ablaufenden Uhr.
Die Tür wurde geöffnet und zwei Ärzte, noch eine Schwester, ein Labortechniker und ein Atemtherapeut hasteten herein. Wir arbeiteten fieberhaft an seinem Bettchen in dem irren Gewirr von Notfalls-Medikamenten, Sauerstoffzischen und dem Piepsen des Herzmonitors. Allmählich flaute die Tätigkeit ab. Alles ärztlich Mögliche war getan worden. Das Baby lag, abgesehen vom mechanischen Heben und Senken der Brust durch das Beatmungsgerät, unbeweglich da.
Der Raum wurde still. Jedes Herz schien auf den Säugling gerichtet zu sein. Nichts erschien wichtiger, als dass der kleine Junge wieder selber atmete. „Herr, hilf ihm“, betete ich.
„Atme“, sagte ein Arzt, „los, Kleiner, atme!“
„Lieber Gott bitte hilf ihm, zu atmen, bitte!“ flüsterte die Schwester neben mir.
In jedem Gesicht sah ich diese Bitte, während das Gebet sich wie ein Kreis der Hoffnung um das Bettchen zu schließen schien.
Plötzlich hörten wir ein Glucksen, dann … ein Husten … worauf ein kleiner Schrei folgte. Das Beatmungsgerät wurde abgenommen. Alle sahen auf das Kind und warteten. Es krümmte die Finger und reckte die Arme in die Luft. Und dann atmete es – ganz alleine. Ich wandte mich um, um die Tränen zu verbergen, die meine Augen füllten. Ich musste einfach glauben, dass ich an einem gewaltigen Wunder teilhatte. Es war Heiligabend und ein kleiner Junge lebte! Ihm war die außergewöhnliche, kostbare Gabe des Lebens durch jemand anderen als dieser kleinen Schar, die um sein Bett versammelt war, geschenkt worden. Jesu Gegenwart füllte die Säuglingsstation. Ich erkannte, dass Er bei alledem mitten drin gewesen war und überlegte, ob vielleicht in dieser besonderen Nacht überall auf den Säuglingsstationen Seine Gegenwart besonders lebendig wäre. Und in jenem Augenblick wurde mein Herz in einer tiefen, geheimnisvollen Art, die ich nicht erklären kann, zu Ihm hingezogen.
Ich spürte ein Zupfen hinten an meiner Kleidung und wandte mich um. „Die Eltern des Babys sind hier“, sagte der Pförtner. „Sie sahen das Geschehen durch das Besucherfenster, noch bevor ich sie aufhalten konnte, und sie sind ganz aufgeregt.“
Mit dem rosa Säugling, der wieder strampelte, schlüpfte ich hinaus und fand Mama und Papa im Warteraum. Sie hielten sich bei der Hand und starrten am Fenster in den kalten Nebel hinaus.
„Ihr Kind hatte eine schwere Zeit“, sagte ich. „Doch jetzt geht es ihm viel besser.“
Sie drehten sich blitzartig um. „Lebt er?“ fragte die Mutter, ihre zitternden Händen ans Gesicht haltend.
„Er lebt und kämpft sich durch.“
Tränen füllten ihre Augen. Auch die Augen des Vaters wurden etwas feucht und er konnte kaum danken. „Danke Ihnen allen.“
„Sie gaben uns ein wunderbares Weihnachtsgeschenk“, sagte die Mutter, „das Leben unseres Babys.“
Ich war unfähig, zu sprechen, und hielt die Tränen zurück. Ich hatte ihnen sagen wollen, dass eigentlich ihr Sohn mir ein Geschenk gegeben hatte. Er hatte mein Leben auf besondere Weise berührt. Er hatte mir geholfen, zu Jesus zurückzufinden, welcher der Mittelpunkt von Weihnachten ist.
* * *
Baby Jesus schläft so fest,
liegt auf Heu und Stroh.
In einer Krippe warm und weich,
hat das Baby Ruh’.
Seine Mutter hat es lieb,
wärmt und deckt es zu.
Singt dem Kind ein Wiegenlied:
„Schlaf, mein Kind, schlaf gut.“
– – –
Eine niedrige Arbeit
von Joyce M. Parker
Was kann schlechte Laune vertreiben, wenn man an Weihnachten arbeiten muss?
Ich erinnere mich an ein Fest vor vielen Jahren, als ich eine junge unerfahrene Lernschwester in einem riesigen Londoner Krankenhaus war. Ein Teil meiner Aufgaben bestand darin, Verbände auszukochen, Gummiunterlagen zu reinigen und Geschirr abzuwaschen. Wenn die Putzfrauen früher gingen, mussten wir Schülerinnen auch ihre Arbeit noch beenden.
Es war das erste Mal, dass ich Weihnachten nicht zu Hause verbringen würde und ich hatte Heimweh. Die Festtage versprachen lange Schichten und viel Arbeit. Am 24. Dezember würden wir um halb acht morgens auf der Station anfangen, und bis halb neun am Abend durchhalten müssen. Jetzt war es bereits halb neun am Heiligen Abend.
Betty, ebenfalls Lernschwester, und ich hatten unsere dreißig Patienten auf die Nacht vorbereitet und standen nun in der Küche am Anfang des Ganges vor einem Berg von ungewaschenem Geschirr. Das war Arbeit, welche die Putzfrauen hinterlassen hatten. Sie waren schnell nach Hause geeilt, um mit ihren Lieben zu feiern.
Wir mochten nicht mehr und taten uns selbst unheimlich leid als wir uns widerstrebend an die Arbeit machten. Doch zu guter Letzt war das Geschirr gewaschen und im Schrank verstaut. Der Boden war geschrubbt und glänzte.
»Und was ist mit der anderen Küche?«, fragte Betty? Auf jeder Abteilung gab es zwei Küchen.
»Ja, was ist damit?«, entfuhr es mir unwillig. »Wenn die denken, dass ich mich jetzt nochmals auf den Boden knie und putze, haben sie sich getäuscht. Am Heiligen Abend werde ich das nicht tun.« Es war für mich schlimm genug, nicht zu Hause sein zu können und meine eigene Arbeit erledigen zu müssen, aber die dieser nachlässigen Putzfrauen noch dazu?
Betty nickte. »Stimmt. Das ist zu viel verlangt. Wir haben schon jetzt eine Überstunde. Lass uns Schwester Waltraud finden und ihr sagen, dass wir gehen.«
Müde schleppten wir uns zum Zimmer der Oberin. Doch die Schwester in der blauen Uniform mit ihrem steifen weißen Häubchen war nicht aufzufinden.
Sie war weder im Büro, noch im Behandlungszimmer, auch nicht im Wäscheraum. Ohne ihre Erlaubnis zu gehen, war undenkbar. Das trauten wir uns nicht.
Zögernd standen wir in dem schmalen Korridor zwischen den beiden Küchen und fragten uns, was zu tun sei. Da öffnete sich fast von selber die Tür zu der Küche am anderen Ende. Und da war sie. Auf dem Boden, auf Händen und Knien arbeitend, fanden wir Schwester Waltraud.
Beschämt standen wir vor ihr, doch sie sah auf und lächelte.
»Ist schon gut, meine Lieben«, sagte sie. »Die Putzfrauen sind heute früher gegangen, und diese Küche war so schmutzig. Vor dem Weihnachtstag muss einfach sauber gemacht werden. Geht heim, ihr habt hart gearbeitet, und morgen geht es schon früh weiter.«
Sie muss gespürt haben, was in uns vorging. Ihre Augen leuchteten warm und freundlich, als sie fort fuhr: «Ich weiß, dass es das erste Mal für euch ist, an Weihnachten nicht zu Hause zu sein. Wahrscheinlich vermisst ihr eure Lieben. In einer halben Stunde ist in der Kapelle Gottesdienst, vielleicht hilft euch das!«
Schweigend schlossen wir hinter uns die Küchentür und schauten einander mit erröteten Gesichtern an. In dem Moment unterbrach ein fernes Singen die Stille.
Es kam näher und die Stimmen wurden lauter. Im Korridor erschien eine Gruppe Schwestern, die Laternen trugen. Das hatten wir ganz vergessen, den Brauch der Schwestern, am Heiligen Abend auf allen Stationen Weihnachtslieder zu singen!
Ihre roten Umhänge schimmerten warm im Licht der Laternen, und die Worte, die sie sangen, klangen klar und wahr.
Einmal, in der königlichen Stadt Davids
Stand einsam ein demüt`ger Stall
Dort gebar die Mutter ihr Kindlein
In die Krippe legte sie Ihn
Die Mutter war Maria
Und Jesus hieß ihr Sohn.
Ich starrte auf den Boden, meine Augen gefüllt mit Tränen. Jesus hatte so viel für mich getan, und ich hatte noch nicht einmal einen Boden putzen wollen, um Seinem Beispiel der Nächstenliebe zu folgen. Stattdessen hatte die Oberschwester diese niedrige Arbeit ganz ohne innere Ablehnung übernommen.
»Herr, verzeih mir meinen Stolz«, betete ich leise, »dieses Beispiel von Demut möchte ich nie mehr vergessen, ganz besonders nicht an Weihnachten.«
Die fröhlichen Stimmen erfüllten die Station.
Als Betty und ich uns der Kapelle näherten, wurde mein Herz leicht. Es war Heiligabend, Jesus war geboren!
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EIN WEIHNACHTSGEBET
Liebender Gott, hilf uns, uns an die Geburt von Jesus zu erinnern, damit wir am Lied der Engel teilhaben können, an der Freude der Hirten und an der Anbetung der Weisen aus dem Morgenland. Schließe überall in der Welt die Tür von Hass und öffne die Tür der Liebe. Lass Freundlichkeit Einzug halten mit jedem Geschenk und gute Wünsche mit jedem Gruß. Erlöse uns von dem Übel durch den Segen, den Christus mit sich bringt. Mögen unsere Sinne mit dankbaren Gedanken erfüllt und unser Herz voller Vergebung sein, um Jesu Willen. Amen! – Robert Louis Stevenson
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