Mein Leben mit Gott
Gewidmet meinen Enkeln und jedem, den es interessiert
30. August 1949
„Wenn es kein Junge ist, brauchst du sie erst gar nicht nach Hause bringen.“ So hörte ich es von meiner Mutter, wenn sie anderen von ihrer 2. Geburt erzählte.
Warum denken Eltern nicht nach, was sie vor den Ohren ihrer Kinder sagen und warum muss man erst Großmutter werden, bevor man erkennt, dass man selbst so war, wie man seine Eltern als Kind nicht wollte? Man müsste schon in der Schulzeit Partnerpflege und Kindererziehung zum Lehrstoff dazufügen, und nicht Eheberatung, wenn Leute schon auf die Scheidung zugehen und Kinder zum Psychiater schicken, wenn sie schon einen Macken abbekommen haben! (Aber selbst dann kann man nicht alles perfekt machen, wir sind schließlich fehlbare Menschen.)
Aber was meine Mädchenzeit betrifft, ich wurde noch in eine Zeit geboren, wo Väter noch einen Stammhalter wollten, um den Stammbaum zu erhalten, die Familienwurzel, den Namen und den Betrieb – wenn es einen gab. Mein Vater war Schneidermeister weil sein Vater Schneider war und ich weiß nicht wie viele Väter davor es auch waren. Aber einer muss aus der Reihe getanzt sein, denn wir hießen Müller, was meinem Vater auch den Beinamen Schneidermüller gab. In unserem Ort gab es noch mehrere Handwerker, die einen Namen hatten, der einen Beruf ausdrückte, sie aber einen anderen Beruf hatten, so wie ein Freund meiner Eltern, der Schmidtmeier. Er hieß Meier und war ein Schmidt. Ein Meier war ein Gutsverwalter – meine Oma väterlicherseits war eine geborene Meyr. Ein anderer Mann war als Uhrenschuster bekannt, weil er als Schuster durch seine Heirat umsattelte und das Uhrengeschäft seines Schwiegervaters übernahm. Unser Vorfahr Müller war vielleicht kein erstgeborener und wollte einfach kein Müller sein, sondern ein Schneiderlein.
Mein Großvater kam aus dem Schwarzwald und meine Oma von der schwäbischen Alb. Ich fand das als Kind faszinierend mir auszumalen, wie es an diesen Orten gewesen sein mag. Der schwarze Wald mit den vielen Tannen und die Alb mit ihrem kargen Wuchs und den rauen Winden die dort oft blasen. Mein Opa und meine Oma fanden sich irgendwie dazwischen, 30 km südlich von Stuttgart, am Fuß der Schwäbischen Alb. Aber da fand ich es ziemlich langweilig, mit nur ein paar Hügeln und einem Tal entlang des Neckars, verglichen mit dem Schwarzwald und der Alb (woanders ist es sowieso immer besser). Es war für mich immer interessant, Geschichten von meiner Oma über die ‚raue‘ Alb zu hören. Wie rau sich anfühlt, konnte ich in meiner kindlichen Fantasie allerdings nicht wirklich nachvollziehen.
Ihre Eltern hatten einen Bauernhof und hießen wie gesagt Mayr. Die müssen also mal Gutsverwalter oder Pächter gewesen sein. Aber mein Urgroßvater hatte es nicht leicht, wie meine Oma erzählte. Oft gab es Missernten, das raue Wetter auf der rauen Alb spielte den Bauern oft arg mit, mit Hagelstürmen oder auch Dürre.
Damals gab es noch keine Badezimmer so wie wir sie heute kennen. Wenn man aufs Klo musste, musste man aus dem Haus auf den Hof zum Misthaufen, Bauern hatten oft kein extra ‚Häuschen‘.
Das muss so ungefähr ausgesehen haben, nur war um 3 Seiten um den Haufen herum ein kleines Mäuerchen (was die Jauche zurückhielt), auf das man dann kletterte oder sich setzte. Im Winter war das eine ziemlich kalte Angelegenheit, besonders nachts, wenn man barfuß schnell da raus musste. Oh, dieser Gedanke war nicht so aufregend, wir hatten zwar in unserem Haus ein ‚fortschrittliches‘ Plumpsklo mit einer Klappe um das Loch zu verschließen. Trotzdem war das im Sommer auch eine stinkende Angelegenheit (mit weißen Maden, die das Rohr hochgekrabbelt kamen). Ziemlich stinkend vor allem wenn die Jauchegrube ziemlich voll und ausgepumpt werden musste.
Dazu kam ein älterer Mann, dessen Beruf es war das zu tun. Er kam mit einem Holzkarren, auf dem ein runder Tank war mit einer Handpumpe und mit einem dicken Schlauch musste er mühsam das stinkende Zeig herauspumpen. Dieser Mann wurde nicht mit Namen genannt, sein Beruf erniedrigte ihn sehr, was die Leute ein wenig herablassend auf ihn sehen lies, er war ja nur der Soichbomber (Jauchepumper) wie er auf Schwäbisch genannt wurde. Dabei weiß ich nicht, was die Leute ohne ihn getan hätten.
Ich war jemand, die eine allgemeine Meinung nicht so einfach teilte, sondern schaute ihn trotzdem mit Interesse an und wunderte mich, was für ein Privatleben er wohl lebte. Mich interessierten Menschen und ihr Leben, selbst die eines Mannes, mit so einem widerlichen Beruf. Später kam dann ein jüngerer Mann mit einem speziellen Tanklastwagen, so einer wie diese Öllieferwagen, der das Ganze schneller und bequemer vollzog, aber gestunken hat es trotzdem. Und wieder ein paar Jahre später wurde der Ort kanalisiert und die Straßen geteert und mein Vater hat unser Haus umgebaut und wir bekamen endlich ein richtigen Badezimmer und Wasserkloset.
Hier ist mein kleiner Bruder, den meine Schwester unfreiwillig knipste. Wir wohnten über dem Geschäft meines Vaters, wo das große 2 stöckige Dach schon anfing. Rechts ober hing ein Korb in dem geschnittenes Zeitungspapier kam – Klopapier war noch nicht gang und gebe. Man zerknitterte und rieb es um es weicher zu machen bevor man es benützte. Wir hatten meist den Vorzug von Seidenpapier, das in den Paketen mit Waren mitkam und das sehr viel weicher war als Zeitungspapier. Das Rohr im Hintergrund war für den Luft- Gasabzug.
Aber meine Oma hatte auch Schönes zu erzählen, wie über all den Schnee den sie im Winter (damals noch) hatten. Sie erzählte wie sie und ihre Geschwister, obwohl es der Vater verboten hatte, irgendwie aufs Dach von einem Schuppen geklettert sind und dann runtergerutscht sind in den tiefen Schnee darunter. Oh das hab ich mir immer als so toll ausgemalt und gewünscht, ich hätte dabei sein können.
Das ist das Härtsfeld, auf der östlichen Schwäbischen Alb, wo meine Oma herkam.
Was sie mir nicht erzählt hat, wahrscheinlich weil es zu schmerzlich war und sie immer noch verbittert ließ, was ich später von meiner Mutter erfahren habe, war, dass sie schon früh zu einem Nachbarbauern geschickt wurde, um dort der jungen Bäuerin mit ihren kleinen Kindern zu helfen. Ihren Eltern ging es finanziell so schwierig, dass sie dazu gezwungen waren, sie während der Woche wegzugeben. Samstagabends kam sie wieder nach Hause rechtzeitig zum wöchentlichen Bad in der Wanne in der Küche und dabei wurden ihre Zöpfe gelöst und ihre Haare gewaschen. Die Bäuerin hatte keine Zeit ihr jeden Tag die Haare neu zu kämen und zu flechten und so blieben die Zöpfe dran bis zum nächsten Samstagabend und das war dann eine ziemlich schmerzhafte Angelegenheit, die verfilzten Zöpfe auseinander zu flechten. Anschließend gab es frische Kleidung, die sie dann trug bis zum nächsten Bad zu Hause. Sie soll oft geweint haben, und wollte nicht mehr aus dem Haus gehen, lieber bei der Mutter und den Geschwistern bleiben und sie hat es nie verstanden, warum sie gehen musste und nicht ihre ältere Schwester. Aber die hat die eigene Mutter gebraucht, um mit den kleineren Geschwistern und im Haushalt zu helfen.
Im Sommer gingen die Kinder barfuß, das war normal, für Schuhe war sowieso kein Geld da. Aber selbst für Stiefel im Winter konnte der Vater es sich nur leisten, dem ältesten Kind ein neues paar jährlich zu kaufen und das alte Paar wurde dann immer weitergereicht an die jüngeren und repariert, wenn die Sohlen durch waren. Aber das Problem bei meiner Oma war, dass sie sehr große Füße hatte und so die Schuhe von den älteren Geschwistern ihr auch schon zu klein waren, weil aber kein Geld für extra Schuhe für sie da war, musste sie wohl oder übel ihre Füße in die zu kleinen Schuhe zwängen. Was zur Folge hatte, dass sie verkrüppelte Füße bekam. Die Zehen wuchsen übereinander und der Knöchel vom großen Zeh stand mit den Jahren immer mehr heraus. Schöne Schuhe konnte sie nie mehr tragen und im Alter wurde Laufen immer schmerzhafter.
Das waren unerfreuliche Geschichten, aber ich habe meine Oma als eine enge Bezugsperson in Erinnerung, die ich liebte. Wir wohnten in ihrem Haus und sie war immer für mich da. Meine Eltern waren immer sehr mit dem Bekleidungsgeschäft, das mein Vater nach dem Krieg im Haus seiner Eltern aufbaute – sein Vater starb 1949 bevor ich geboren wurde – beschäftigt und so war ich meist bei ihr. Ich erinnere mich an ihr Zimmer mit dem Kohleofen, das sie im Winter schön warm heizte und wie sie einen Apfel geschält und ihn mit mir geteilt hat oder die Bratäpfel, die sie einfach auf dem Ofen oben brutzelte – oh waren die guad – lecker. Wir hatten im Garten an der Hauswand 2 Birnenbäume, die erst gegen Weihnachten richtig reif wurden und die meine Oma auf ihrem Wohnzimmerbüfett zum ausreifen auf Zeitungspapier legte. Ich lief immer gleich hinzu, wenn sie nachschaute, ob eine Birne vielleicht Mackenstellen hatten, die anfingen braun zu werden. Solche aßen wir dann zuerst zusammen. Nicht jeder hatte Birnen im Garten deshalb waren sie schon etwas besonderes. Wo meine 21/2 Jahre ältere Schwester in der Zeit war, erinnere ich mich nicht mehr, sie fehlt da einfach in meiner Erinnerung.
Das war eine Gemeinsamkeit mit Geborgenheit und Liebe. Ich erinnere mich nicht an Zeiten, wo ich auf dem Schoß meiner Mutter saß, aber an das schöne Gefühl, auf dem Schoss meiner Oma zu sitzen und ihr nahe zu sein. Gott hat seine eigenen Wege, ich denke heute, dass ich auch ein Segen für sie war, dass es ihr geholfen hat, etwas von dieser Härte und Verbitterung die sie in sich hatte, wegzunehmen. Wie sie alt genug war, kam sie als Haushaltshilfe zu reichen Leuten in Schwäbisch Gmünd, doch obwohl es ihr dort gut ging, fand sie dennoch Dinge zum Beklagen und zu murren und meckern. Sie heiratete schließlich den Mann ihrer Träume und hatte einen kleinen Jungen. Doch die schöne Zeit währte nicht lange. Der erste Weltkrieg begann und ihr Mann war unter den ersten Soldaten, die fielen. Das muss ein schrecklicher Schmerz und sehr bitter für sie gewesen sein, auch hatten Kriegerwitwen es nicht leicht, alleine zu überleben, da sie nicht viel Unterstützung von der Regierung bekamen. Ein reisender Geschäftsmann, der beide, meine Oma und meinen Opa kannte brachte die zwei dann zusammen, meine Oma brauchte wieder jemand, der sie und ihren Sohn versorgte und mein Opa brauchte eine Frau, da seine erste Frau an Blinddarmentzündung gestorben war. Ob oder wie sehr meine Oma meinen Opa liebte weiß ich nicht, ich weiß nur, dass sie meinen Vater nie wirklich liebte – oder in der Lage war, Liebe zu zeigen – und seinen jüngeren Bruder immer bevorzugte, was meinen Vater wiederum auch verbitterte.
Ein kleines Kind übergeht solches einfach, kann lieben ohne diese Vorbehalte und gegenseitiger Gram den die Erwachsenen haben. Viele Menschen stellen sich Gott als einen alten Mann mit grauem Bart vor, der einen Prügel in der Hand hält um uns damit für jede kleinste Missetat und Danebenbenehmen zu bestrafen. Aber Gott ist ja Liebe und Liebe bestraft nicht einfach, sondern versucht, dem Schuldigen zu helfen, sich zu ändern. Ohne dass mir das bewusst war, denke ich, war ich die Liebe Gottes für sie. Leider ist es uns meist nicht bewusst, wie Gott uns seine Liebe oft zeigt und in welcher Form sie zu uns kommt.
Ich erinnere mich nicht mehr an sehr vieles, wie ich klein war, aber solche Momente blieben als etwas Kostbares haften. Einmal hat sie mich mit einer rohen Zwiebel eingerieben, wie ich noch kleiner war und mich aus Versehen auf eine Biene gesetzt hatte und von ihr gestochen wurde. Ich habe schrecklich geschrien und sie hat mich getröstet. Oder eine schöne Erinnerung ist die Zeit im Frühling, wenn meine Oma die neu geschlüpften Küken auf der Veranda in einem oben offenen Käfig versorgte, weil es draußen noch zu kühl für sie war. Ich durfte ihnen Haferflocken hinstreuen und sie auch in meine Hand nehmen. Aber irgendwann wollte mein Vater keine Hühner mehr und hat stattdessen auf dem Hühnergehege eine Garage für das neue Auto gebaut. Dabei musste auch ein Kirschbaum, der sich mit jedem Jahr durch den Komposthaufen hindurch geschlängelt und hochgewachsen war, weichen, auf den ich so gerne geklettert bin, um an die süßen Früchte zu kommen.

Sonntags ging es bei uns meist raus ins Grüne. Dieses Bild hat ein Mann geknipst, der bei uns im Haus vorübergehend wohnte. Nach dem Krieg flohen viele deutschstämmige Menschen aus kommunistischen Ländern, zurück nach Deutschland. Sie hatten in diesen Ländern für viele Generationen dort gelebt, aber weil sie noch viel an der Deutschen Sprache und Bräuchen festhielten, wurden sie genauso als Deutsche Nazis eingestuft, ob sie es nun waren oder nicht. Dadurch und auch weil so viele Städte und Häuser zerbombt waren, herrschte akuter Wohnungsnotstand. Um der Not abzuhelfen schickten Kommunen Beamte in jedes Haus, die sich notierten, wie viele Menschen in dem Haus wohnten und wie viele Zimmer vorhanden waren, wie viel Menschen also notgedrungen noch im Haus unterkommen konnten. Dadurch bekamen wir diesen jungen Mann ins Haus, mit dem wir natürlich auch die Küche, Waschküche und das Klo teilten. Weil diese Flüchtlinge alles zurücklassen mussten, alles verloren hatten, bekamen sie ein kleines Neustartgeld, was ziemlich viele Deutsche ziemlich erboste und neidisch machte, denn viele hatten auch alles verloren oder mussten ganz bei Null anfangen, so wie meine Eltern, nachdem sie nach dem Krieg geheiratet hatten, bekamen aber nichts vom Staat, nur Lebensmittel- und Möbelmarken. Möbel waren auch eine große Mangelware, wie eigentlich alles zuerst, da die alliierten Soldaten Häuser und Fabriken systematisch plünderten. Wenn mein Vater das erzählte schmunzelte er dabei und meinte, dass alles Alte zwar von uns genommen wurde, aber dafür schafften sich Fabriken, Firmen und auch Privatleute dann das Neueste auf dem Markt an. Deutschland wurde ganz nagelneu aufgebaut, während die Siegermächte nur alte Maschinen, Geräte und Dinge mit nach Hause nahmen. Man erzählt immer vom Deutschen Wirtschaftswunder, diese Tatsache gehört auch dazu.
Aber mit diesem Neustartgeld hat sich unser Flüchtling eine Kamera angeschafft, weil er beruflich vorhatte, photographisch zu arbeiten. Ohne ihn hätte ich nur wenige Fotos von mir wie ich klein war.
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Eines meiner Enkel bat mich einmal, ihr ein paar Fragen für ein Schulprojekt zu beantworten, Fragen zu wie damals als ich jung war geheizt und gekocht wurde. Ich möchte das hier dazu fügen, um ein vollständigeres Bild zu geben, wie es damals war.
Um die Häuser und Wohnungen zu heizen verwendete man Kohlen, oder Briketts. Mein Vater bestellte sie im Sommer in einem Brennstoffgeschäft, wenn die Preise niedriger waren als im Winter. Der Mann brachte es in großen Säcken auf einem Lastwagen. Einige Leute hatten eine Rutsche, die aus einem Kellerfenster ragte, auf die die Kohle gekippt wurde, wenn nicht, wurde sie entweder an der Hausmauer ausgekippt oder sie wurde direkt in den Keller getragen.
Ich half von klein an, die Briketts an eine Wand zu stapeln, damit sie nicht so viel Platz einnehmen, als auf einem Haufen. Es war eine schmutzige, staubige Arbeit, und neben dem Schmutz musste man beim Einatmen des Kohlenstaubs husten.
Als ich noch sehr klein war, haben wir mehr mit Holz geheizt, weil das billiger war, aber auch für Kohle brauchte man trotzdem immer etwas Holz, um das Feuer anzufachen. Wir kauften Holzstämme bei einer Försterei oder einem Holzbauern und bestellten dann einen Mann, der eine elektrische Säge auf einer Karre hatte. Der Motor trieb nicht nur die Säge an, sondern konnte umgestellt werden, um die Räder anzutreiben zum Fahren – sehr langsam. Es sah komisch aus wie ein Tisch auf Rädern und einem Dach, mit dem Motor darunter und oben die Säge, die auf und ab ging und vorne gab es ein Lenkrad hinter das sich der Mann auf den Tisch setze zum Fahren, in etwa wie auf dem Bild.
Er sägte die Stämme in der Nähe unserer Hinterhaustür in kleine Rollen und diese in Viertel. Wieder half ich dann, das Holz in Körbe zu werfen, die mein Vater dann in den Garten trug. Ich bestand meist auch später darauf, versuchen zu dürfen die Holzscheite in kleinere Stücke zu hacken, aber nur, wenn ein Erwachsener nahe dabei stand, denn für ein Kind war Holzhacken einfach zu gefährlich. Aber weil es harte Arbeit war, habe ich meistens sowieso bald aufgegeben.
Zum Heizen hatten die meisten Leute Kohleöfen, manche auch einen Kachelofen, der vom Hausflur aus bedient wurde. Dadurch gab es keinen Dreck im Wohnzimmer und es heizte gleichzeitig auch den Flur oder ein anderes Zimmer. Ich liebte solche schöne Öfen, denn sie waren nicht zu heiß um sich an sie anzulehnen. Oft hatten die Leute auch eine Bank um den Ofen, wo man sitzen und sich den Rücken wärmen konnte.
Wir hatten in unserem Wohnzimmer einen Ofen der wie dieser hier aussah. Oben sieht man einen Deckel der war bei uns meist auf und auf der Platte darunter stand ein Topf mit Wasser, zum Kochen oder für Tee oder Kaffee. Abends wurde damit das Wasser für die Bettwärmeflaschen gewärmt oder die Metallwärmeflaschen direkt darauf gestellt.
Um den Ofen herum war es sehr warm, aber in der Nähe von Fenstern und Türen blies eiskalte Luft herein. Wir hatten Doppelfenster, also ein extra paar Fenster hinter den normalen Fenstern, die im Spätherbst eingesetzt wurden, um die Kälte besser draußen zu halten. Zwischen den zwei Rahmen wurde Zeitungspapier gestopft, um jede Ritze auszufüllen, durch die der kalte Wind blasen könnte. Trotzdem kam die Kälte durch. Zu dieser Zeit wurden nur Küchen und Wohnzimmer beheizt. In den Schlafzimmern gab es manchmal einen Schornstein, wenn es über dem Wohnzimmer lag, das den Raum leicht wärmte. Zu Schlafzimmern, die mit dem Wohnzimmer verbunden waren, wurde die Tür vom Wohnzimmer vor dem Schlafengehen geöffnet, um die warme Luft in das kalte Zimmer zu lassen. Aber trotzdem waren sie recht kalt und die Betten nur durch Wärmflaschen erwärmt.
Mein Vater erzählte uns, dass er, als er jung war, auf dem Dachboden schlief, zusammen mit seinem Bruder, und wenn es richtig kalt war, lag er im Bett zwar mit einer Wärmflasche und die Federbettdecke bis über die Ohren gezogen, doch es war so kalt, dass er seinen Atem sehen konnte. Die Treppenhäuser, waren meist kalt, und es fühlte sich schrecklich an, wenn man aus dem warmen Wohnzimmer raus in den kalten Flur musste, zur Küche oder auf die auch kalte Toilette. Diese Art der Heizung war sehr ungesund, ein Raum sehr warm und der nächste schrecklich kalt.
Reichere Leute hatten solche sehr schön verzierten Öfen. Hinter der untersten Tür befanden sich der Aschenbecher und eine Tür, wo man das Feuer anzündete. Hinter der Mittleren Tür, war das Türchen um das brennende Feuer zu „füttern“. Und hinter dem oberen Teil war ein freier Platz für einen Wassertopf, oder was auch immer zu erhitzen oder warm zu halten war oder um Bratäpfel zu brutzeln.
In einem Zimmer hatte wir solch einen runder Ofen, der wegen seiner Form auch als Kanonenofen bezeichnet wurde. Sie heizten sehr gut. wegen dem Metall, aus dem sie hergestellt sind, Aber wenn das Feuer einmal aus war, kühlten sie schneller ab als die Öfen aus Keramik oder mit Kacheln. Alle Öfen standen auf Metallplatten oder Fliesen um zu verhindern, dass sich der Holzboden aus Versehen entzündet. Manchmal wurde die untere Ofentür geöffnet, damit mehr Luft an das Feuer kam, damit es stärker brennt und mehr wärmt. Durch den offenen Spalt aber sprühten manchmal Feuerfunken heraus, die dann einen Holzboden entzünden konnten.
Morgens musste ich mithelfen, die Öfen von der Asche zu säubern. Die Asche kam in einen speziellen Eimer mit Deckel – damit die Asche beim Gehen nicht herumgeblasen wird – und wurde in einen großen metallenen Topf im Keller geleert, um sie für Zeiten aufzubewahren, wenn es draußen vereist war oder Neuschnee lag. Die Asche diente zum Streuen, damit niemand rutschte. Der Regen wusch die Asche dann irgendwann weg, während man heute die Kiesel wieder zusammenfegen muss. Asche nur aus Holz wurde im Garten verteilt, da es ein sehr guter Dünger war.
Nach dem Ofensäubern wurde dann das neue Feuer angezündet. Du musst dir das so vorstellen: du musst morgens aus dem warmen Bett raus um dich im kalten Zimmer anzuziehen und auch zu waschen – mit kalten Wasser – gut für die Durchblutung aber oh so kalt. Zu meinen Aufgaben gehörte es, Holz von der Bühne (schwäbisch für Dachboden) zu holen, und Kohle oder Briketts vom Keller. Das Holz kam in Körbe, die Kohle holte man sich in solchen Eimern. Für die Briketts gab es auch einen speziellen eckigen Metalltragekorb in den man die Briketts stapelte, dadurch verschmutzte man den Boden nicht.
Ich habe schon sehr früh gelernt, wie man ein Feuer macht, und habe dabei geholfen. Die Fenster musste man dabei öffnen, wegen dem Rauch – oh so kalt. Aber wenn der Ofen dann anfing Wärme auszustrahlen und die Fenster wieder zu waren, war das ein so schönes Gefühl, diese wunderbare Wärme. Ich habe auch fast noch diesen Geruch vom neuangefachten Ofen in der Nase, ein Geruch der mit Wärme und Wohlfühlen verbunden ist.
In der Küche hatte meine Oma noch solch einen Holz-Kohle beheizten Herd.
Der weiße Topf oben reicht bis in ins Innere vom Ofen und war voller Wasser, so dass es immer heißes Wasser gab, für was immer man es brauchte. Abends wurden die metallenen Wärmeflaschen damit gefüllt oder direkt auf den Herd zum Wärmen gestellt. Auch die alten Bügeleisen wurden auf den Platten von solch einem Herd erwärmt. In der Schublade unter dem Herd befanden sich Papier und Holz zum Anzünden des Feuers. Auf der Herdplatte in der vorderen linken Ecke, da wo hier der schwarze Topf steht, befand sich eine runde Platte aus immer kleiner werdenden Ringen, die man herausnehmen konnte, um Töpfe aufzustellen, die in den Herd hinein reichten. Oder für ein Waffeleisen, das sich drehen lies, damit beide Seiten gleich braun wurden. An diese Waffeln erinnere ich mich immer noch gerne, mit Apfelmus dazu, selbstgemacht natürlich. Waffeln machen ließ mich meine Oma aber nie, weil es zu gefährlich für kleine Hände war, aber ich durfte beim Äpfel schälen und kleinschneiden helfen. Wie anders das Leben damals war. Ich betrachtete das helfen nicht als Arbeit, sondern es machte mich Teil vom täglichen Leben und ich hatte dabei Gemeinschaft mit den Eltern oder der Oma und und es machte Spaß gebraucht zu werden und mithelfen „zu dürfen“.
Wir hatten in der Küche diese Art von Elektroherd mit einem Beistell-Holzofen daneben. Im Winter, wenn meine Mutter abends das Feuer ausgehen ließ, weil es nach dem Abendessen nicht mehr gebraucht wurde, legten wir Äpfel darauf, damit daraus gebackene Äpfel wurden – mhhhh das war lecker! Wenn der Ofen zu heiß war, wurden die Äpfel außen zu schnell braun, ohne ganz durchgegart zu sein.
Bevor unser Haus umgebaut und modernisiert wurde, badeten wir in der „Waschküche“ im Keller. Zuerst musste das Wasser in einem großen Offen mit einem riesigen Wasserkessel erwärmt werden, in dem auch das Wasser zum Waschen erwärmt wurde. Dann wurde es in die Badewanne geschöpft, was nicht ungefährlich war, da das Wasser aus dem Ofen kochendheiß war.
Später hat mein Vater einen speziellen Badezimmerofen für die Wanne gekauft Einmal in der Woche, am Samstagabend, wurde er beheizt, und wir konnten ein Bad nehmen. Bevor man jedoch in die Badewanne stieg, musste man sich vergewissern, dass das Feuer noch stark genug brannte und es noch genug heißes Wasser für die nächste Person gab und man sich damit keinen Ärger mit dem, der nach einem baden wollte, einhandelte. Wir verbrannten dort auch alle Arten von Papier- oder Pappemüll – damals gab es kein Plastik!
Es war eine andere Art zu leben, mit sehr viel mehr körperlicher Arbeit und Anstrengung – Fitnessstudios waren nicht nötig. Es forderte Disziplin und Ausdauer, war vielleicht weniger komfortabel, doch blicke ich immer noch mit schönen Erinnerungen zurück. Bevor man morgens frühstücken konnte, musste man im Winter zuerst arbeiten, den kalten Ofen in Gang bringen und den Kreislauf, mit dem kalten Wasser. Das Leben drehte sich mehr um diese täglichen Arbeiten fürs Leben und war auch eine Menge Arbeit, doch das war ganz einfach das Normale.
Nächstes Kapitel: meine andere Oma.