Stärkung für ein neues Jahr
J.R. Miller (1840-1912)
Wir sollten aus jedem Jahr etwas machen. Jedes neue Jahr sollte wie eine neue Stufe auf der Treppe nach oben sein und unsere Füße etwas höher heben. Wir sollten keine zwei Jahre auf der gleichen Ebene leben.
Viele Christen werden in ihren Aufgaben und Pflichten schwach und müde. Die Routine ermüdet sehr. Die Aufgaben sind groß und anspruchsvoll, das Leben ist trist in seiner Monotonie, die Arbeit scheint oft vergebens. Wir säen und ernten selbst nicht. Wir finden an vielen Punkten Enttäuschung und Entmutigung. Die Hoffnungen, die heute voll Leben erstrahlen, liegen morgen da wie verwelkte Blumen.
Aber wir können stark sein. Gott hat für uns Stärkung. Wie kommt Seine Kraft zu uns? Sie kommt auf vielerlei Weisen und Wegen zu uns. Jakobus sagt uns, dass jedes gute und vollkommene Geschenk vom Vater des Lichts herabkommt. Ganz gleich denn, wie die Kraft zu uns kommt, sie kommt tatsächlich von Gott. Wir mögen sie in einem Buch finden, dessen Worte, während wir sie lesen, das Herz erwärmen und uns frisch für den Kampf oder Dienst inspirieren. Wir mögen sie in einer Freundschaft finden, deren Freude und Gesellschaft und Hilfsbereitschaft uns mit neuem Mut und Hoffnung erfüllen. Weit mehr als wir denken, stärkt Gott uns und segnet uns durch menschliche Liebe. Er versteckt sich hinter dem Leben derer, die uns mit ihrer Zuneigung berühren. Er schaut durch menschliche Augen in unsere Augen und spricht durch menschliche Lippen in unsere Ohren. Er gibt uns Kraft in unserer Schwäche und Hoffnung in unserer Mutlosigkeit, durch die Freunde, die mit ihrer Liebe und aufmunternden Freude zu uns kommen.
Die Bibel erzählt uns viel über den Dienst der Engel in den alten Tagen. Sie kamen mit ihrer Ermutigung zu erschöpften oder geplagten Menschen. Nach der Versuchung unseres Herrn kamen Engel und dienten Ihm in Seiner Schwäche. In Seiner Qual in Gethsemane erschien Jesus ein Engel, der Ihn stärkte. Zweifellos kommen auch jetzt noch Engel, um uns zu dienen und uns zu stärken, aber sie kommen normalerweise in Form von menschlicher Liebe.
Doch die Kraft Gottes wird auf andere Weise vermittelt. Sie kommt durch Sein Wort in der Schrift. Wir sind in Trauer, und beim Öffnen unserer Bibel lesen wir die Gewissheit der göttlichen Liebe, die Verheißung der göttlichen Hilfe und des Trostes – dass Gott unser Vater ist, dass unsere Trauer voller Segen ist, dass alle Dinge zum Wohle des Kindes Gottes zusammenwirken. Wenn wir lesen und glauben, was wir lesen, und es alles wie für uns bestimmt empfangen, kommt in die Seele eine neue Kraft, eine seltsame, erstaunliche Ruhe, ein heiliger Frieden, und wir werden sofort getröstet.
An manchen Tagen sind wir demotiviert, überarbeitet, verärgert über Sorgen, beunruhigt über die unzähligen Ablenkungen des Lebens, müde und schwach von vielen Belastungen. Wir setzen uns mit unserer Bibel hin und Gott spricht zu uns in Seinen Worten der ermunternden Freude:
„Habt keine Angst.“
„Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir.“
„Bring deine Sorgen vor den Herrn.“
„Ich lasse euch ein Geschenk zurück – meinen Frieden.“
„Meine Gnade ist alles, was du brauchst.“
Und während wir über die Worte nachdenken, ist die Müdigkeit verschwunden; wir fühlen, wie wir stark werden; die Hoffnung erwacht, der Mut kehrt zurück. Wer die Bibel als Gottes eigenes Wort liest und Gottes Stimme in ihren Verheißungen, Zusicherungen, Geboten und Ratschlägen hört, wird dadurch ständig gestärkt.
Aber es gibt etwas Besseres als das. Gott selbst … kommt in unser Leben mit all Seiner Liebe und Gnade die Ihm eigen ist. Der Prophet sagt uns: „Er gibt den Erschöpften neue Kraft; er gibt den Kraftlosen reichlich Stärke.“ Das bedeutet nichts Geringeres, als dass es eine direkte Übertragung göttlicher Kraft für Gottes schwach werdenden und müden Menschen auf der Erde gibt. Das ist eine wunderbare Offenbarung. Es sagt uns, dass uns die Kraft Christi in unserer Schwäche gegeben ist, die von Seiner Fülle in unsere Leere übergegangen ist.
Man mag uns in unserer Not beistehen und uns durch Sympathie und Liebe, durch Ermutigung und Freude ein wenig stärker machen, aber niemand kann auch nur einen Teil Seiner Kraft oder Freude in unser Herz legen. Christus jedoch gibt uns Kraft und verleiht Sein eigenes Leben. Was der Weinstock für seinen Zweig ist, ist Christus für uns. Wenn der Ast in irgendeiner Weise verletzt, geprellt, gebrochen, sein Leben vergeudet wird, gießt der Weinstock sein Leben in den verwundeten Teil, um diese Schadstelle zu versorgen und zu heilen. Das ist es, was Christus tut. Er gibt den Ohnmächtigen Macht. Seine Stärke wird in unserer Schwäche vervollkommnet. Je größer unsere Not, desto mehr wird die Gnade Christi zu uns kommen. Deshalb gibt es Segnungen, die wir nie erhalten werden, bis wir die Prüfungen erfahren. Wir werden nie Gottes Trost erfahren, bis wir Trauer haben. Und wenn wir lernen, was Trauer ist, werden wir auch lernen, wie Gott Kraft und Trost in Trauer gibt.
Wie können wir sicherstellen, dass wir diese versprochene Stärkung erhalten? Die Antwort lautet: „Doch die, die auf den Herrn warten, gewinnen neue Kraft.“ Was bedeutet es, auf den Herrn zu warten? Es bedeutet:
geduldig auf Gott zu vertrauen,
an Gottes Liebe zu glauben,
Gottes Führung anzunehmen,
nahe von Gottes Herzen zu bleiben,
in ununterbrochener Gemeinschaft mit Gott zu leben,
sich auf Seinen Arm zu stützen und Hilfe von Ihm zu erhalten.
Das Gebet ist Teil des Wartens auf Gott. Wenn wir im Gebet zu Ihm gehen, erhalten wir sofort eine neue Gnadenquelle.
Während wir auf Gott warten, in Christus bleiben, unsere Gemeinschaft mit Ihm ungebrochen beibehalten, fließt von Ihm zu uns in unser Leben, ein ungebrochener Strom von Kraft nach unseren Bedürfnissen … Wie das Wasser des Meeres in jede Bucht und jeden Kanal strömt, jede kleinste Vertiefung an seinem Ufer, so erfüllt Gottes Kraft jedes Herz.
Achte auch auf das Wort „Gewinnen“ im Versprechen. „Die, die auf den Herrn warten, gewinnen neue Kraft.“ Sobald die Kraft erschöpft ist, wird sie wieder aufgefüllt. So schnell wir austeilen, gibt Gott uns von neuem. Es ist wie der Witwe Topf mit Mehl und dem Krug von Öl, die nicht geleert werden konnten, ohne dass sie wieder aufgefüllt wurden, nachdem der Bedarf jeweils aus ihnen entnommen wurde.
Wir sollen mit unserer Arbeit, mit unserem Kampf, mit unserem Tun und Dienen fortfahren … und sicher sein, dass wir, auf Gott wartend, immer wieder neue Kraft gewinnen. Wir sind in lebendiger Verbindung mit Ihm, der die Sterne geschaffen hat und sie bei ihren Namen nennt und das ganze Universum wie es ist, der nicht schwach wird oder müde und erschöpft. Er steht die ganze Zeit hinter uns – all Seine Fülle des Lebens, all Seine bedeutende Kraft – und jeder Verlust von Lebenskraft von uns wird sofort wieder aufgefüllt, denn Er gibt den Schwachen Kraft.
So ist es auch, wenn wir anderen im Namen Christi geben, füllt Er die Leere. „Gib, und es wird dir gegeben werden“, ist des Meisters Wort.
Gott wirft Sein Licht über das ganze ungeöffnete Jahr. Es wird keine Erfahrung im Laufe des Jahres geben, für die nicht auch Stärkung da ist. Gott gibt nie eine Aufgabe, ohne nicht auch die nötige Kraft dazu zu geben. Er legt uns nie eine Last auf, ohne uns unter dieser Last zu stützen. Er sendet nie eine Trauer, ohne den Trost, um ihr zu begegnen. Er ruft nie zu einem Dienst auf, ohne für dessen Erfüllung zu sorgen. Wir müssen nur sicher sein, dass wir auf Gott warten, und dann wird uns Tag für Tag all die Kraft gegeben, die wir brauchen werden, wenn wir weitermachen.
Veröffentlicht 1913, angepasst. Quelle: https://gracegems.org/Miller/strength_for_a_new_year.htm.